Kein Kulturschock – aber ein Bissl anders isses scho‘

Wenn man meine Zeit in Appartements und Hotels mit einbezieht, habe ich inzwischen ja doch einige Zeit in München verbracht. Genug Zeit, um ein erstes persönliches Resümee zu ziehen – wie sind sie denn nun, die Bayern?

„Irgendwie anders“ würde ich sagen. Es ist nicht so, dass einem die Augen aus dem Kopf fallen und man permanent den Kopf schütteln mag, und es ist auch bei Weitem nicht so, dass ich behaupten würde „in Stuttgart war alles besser“ (zumal ich glaube, dass das definitiv nicht der Fall ist), aber an einige Dinge werde ich mich dann doch gewöhnen müssen, auch wenn sie natürlich weitgehend harmlos sind. Ich bilde einfach mal eine unqualifizierte Liste

  • Dialekt zu haben oder zu sprechen ist um Längen verbreiterter, als in meiner bisherigen Heimat. Ich wohne hier mehr oder minder mitten in der Stadt in einem recht großen Wohngebiet – und komme mir dennoch manchmal vor, wie auf der schwäbischen Alp. Nun empfinde ich den dortigen Dialekt als bei weitem grausamer als den hiesigen, aber mir ist es in Stuttgart eigentlich nie passiert, dass ich ein Gespräch am Nachbartisch  nicht verstanden habe. Hier ist das eigentlich die Regel. Und wenn man davon absieht, dass ich selbst nicht wirklich in der Lage bin, den schwäbischen Dialekt selbst zu Wege zu bringen, so konnte ich ihn immerhin fast durchgehend verstehen. Bis dahin habe ich hier definitiv doch einen langen Weg vor mir. Und wenn man unterstellt, dass man den hiesigen Dialekt sprechen muss um als Einheimischer anerkannt zu werden, so kann ich schon im dritten Monat meiner Anwesenheit jegliche Hoffnung fahren lassen -unabhängig meiner Verweilzeit hier- jemals als „Münchner“ zu gelten. Ich werde auch in 20 Jahren den hiesigen Dialekt nicht hinbekommen. Aber immerhin hab ich die Grußfloskeln inzwischen drauf.
  • Offenbar haben ganz viele Münchner zu Weihnachten eine neue Hupe für ihr Auto geschenkt bekommen. Anders kann ich mir den freudigen Einsatz derselben nicht erklären. Im Straßenverkehr wird gestikuliert und gehupt, wie ich es bis dato maximal in italienischen Städten erfahren habe. Die Gründe dafür liegen (von meiner Geschenke-Theorie abgesehen) für mich bis dato noch im Dunkeln. 100 Meter weiter vorn überquert ein Fußgänger die Straße – es wird gehupt. Ein Fahrzeug vollzieht ein gewagtes aber im Stadtverkehr nicht ungewöhnliches Manöver – es wird gehupt. Ein Wagen bremst, da eine Ampel von gelb auf rot wechselt – es wird gehupt. Ein Radfahrer erdreistet sich, die Straße und nicht den Radweg zu benutzen – es wird gehupt. Und manchmal hupt man offensichtlich auch einfach mal sicherheitshalber oder prophylaktisch – der Fußgänger am Straßenrand könnte ja auf die Fahrbahn hüpfen. Gefahrenpotential konnte ich in den bisher beobachteten Situationen eher nicht erkennen. Aber vielleicht gibt es ja auch ein mir bis dato unbekanntes Gesetzt, das einen täglichen Funktionstest der Hupe vorschreibt. Könnte ich mir vorstellen, schließlich gibt es hier ja neuerdings auch eines, das die Abgabe von Alkohol an Tankstellen nach 20:00 verbietet – sofern der Einkäufer nicht der Fahrer des Wagens selber ist [siehe u.A. recht humorig hier beschrieben oder, ebenfalls lesenswert, dort.].
  • Es gibt immer Potential zum Schimpfen. Und zwar lautstark. Liebe Schwaben, akzeptiert es einfach: Eure Nörgel- und Bruddel-Kultur mag euch viel wert sein, aber ihr werdet niemals an der Spitze der Schimpf-Charts stehen. Die ist nach meinem Gefühl bis in alle Ewigkeit von den Bayern besetzt. Und zwar mit weitem Abstand. Egal ob Warteschlange im Supermarkt, Diskussion mit Anderen, Telefonat mit der Steuerbehörde oder sonstigem Unbill beliebiger Art: Dem eigenen Missfallen wird laut- und ausdrucksstark Gehör verschafft. Auch ich durfte mich schon öffentlich als „Arschloch“ titulieren lassen, als ich es gewagt habe, beim Joggen einen von hinten nahenden Radfahrer (an seinem Lenker zwei Tüten gefüllt mir leeren Augustiner-Flaschen, davon etliche meiner Vermutung nach während der aktuellen Fahrt konsumiert) nicht wahrzunehmen und rechtzeitig vor ihm in den Graben rechts des Wegs zu hechten.
    Zu meinem Lehrmeister bezüglich der expliziten Ausdrucksweise habe ich einstweilen den Mieter in der Wohnung unter mir erkoren, dessen lautstarke Tiraden gern durch die geöffneten Fenster bis in meine Wohnung vordringen. Allerdings komme ich mit meinem Lernfortschritt bis dato nur zögerlich voran, da ich außer der Erkenntnis, dass er offensichtlich aufgebracht vor sich hinschimpft, ja dank der oben beschriebenen Dialekt-Problematik inhaltlich nicht vollständig folgen kann. Daher habe ich mir fest vorgenommen, folgenden Lachtränen provozierenden Sprachführer ausführlich und in Ruhe zu studieren.
  • Auf Recht und Ordnung (vor allem Letztere) ist man sehr bedacht. Offenbar ist hier noch weitgehender klar geregelt, welche Verhaltensweisen unerwünscht sind, als das im Schwabenland der Fall ist. Angeblich (ist mir bis dato nicht passiert) bekommt man auch mal einen Strafzettel ausgestellt, wenn man den Radweg auf der falschen Fahrbahnseite benutzt oder als Fußgänger eine rote Fußgängerampel überquert. Hinweisschilder bezüglich erwarteten Verhaltens werden gerne aufgehängt (siehe oben) und deren Einhaltung akribisch überwacht. Vor allem von den etwas älteren Semestern der hiesigen Bewohner.
    Ernsthaft auffallend ist, dass die aus Stuttgart gewohnte deutliche Streifenpolizei-Präsenz hier nochmals erheblich übertroffen wird. Gemeinhin wird Bayern ja ein gewisser Hang zu einer ‚Law- and order‘-Politik nachgesagt und -unabhängig von bisher ausgebliebenen negativen eigenen Erfahrungen auf diesem Gebiet- ist eine solche Tendenz definitiv deutlich erkennbar. Ein Gefühl erhöhter Sicherheit bringt dies auf meiner Seite nicht hervor, eher eines verstärkter Kontrolle.
  • Auf der Haben-Seite sind allerdings auch ein paar Dinge zu nennen. So verläuft beispielsweise der Kontakt zu anderen Menschen erheblich einfacher und entspannter ab, als ich das aus Stuttgart gewöhnt bin. Man unterhält sich spontan und ohne sich zu kennen beim gemeinsamen Warten an einer Fußgänger Ampel. Es ergibt sich eine fünfminütige lustige Plauderei mit anderen Passanten beim begutachten der Zeitungsschlagzeilen der hier an jeder Ecke aufgestellten Zeitungsautomaten. Der Kiosk-Besitzer von gegenüber erbietet sich ohne konkrete Nachfrage, ankommende Pakete entgegenzunehmen, wenn man selber nicht im Haus sei. Als meine Nachtisch-Bestellung in einem Biergarten im allgemeinen Stress unterging, haben sich drei (!) unterschiedliche Personen anschließend bei mir dafür entschuldigt…
    So etwas mögen jeweils Einzelfälle sein, aber deren Häufung ist schon „verdächtig“. Meine Nachbarin in der Wohnung über mir meinte, man käme mit den Münchner nicht so schnell in näheren Kontakt. Diesbezüglich kann ich noch keine Aussagen treffen – aber zumindest das flüchtige Miteinander läuft bis dato wesentlich lockerer ab, als ich das von meinen bisherigen Wohnorten kenne.
  • Und, ja: So gerne ich in Stuttgart gelebt habe und so sehr ich diese Stadt mag: München ist einfach schöner. Punkt. Das sagt nichts über die hiesige Lebensqualität aus, aber allein die vorhandene Bausubstanz ist der stuttgarter weit voraus. Natürlich gibt es ausreichend viele Ecken, die einfach hässlich sind. Das bringen Großstädte zwangsweise mit sich. Aber es gibt hier eben auffallend mehr Stellen, die einfach schön sind und die zum Verweilen einladen. Von der (in Stuttgart einfach nicht vorhandenen) Biergarten-Kultur ganz zu schweigen. Natürlich erlaube ich mir hier noch längst kein abschließendes Urteil – aber „lebenswert“ ist München definitiv.

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