Der Brandner Kaspar gehört, ähnlich wie der Münchner im Himmel, mehr oder minder zum bayrischen Kulturgut. Die Handlung ist schnell zusammengefasst (die Langfassung bei Interesse einfach im verlinkten Wikipedia-Artikel nachlesen): ein Bayer betrügt den (zuvor ordentlich mit Kirschgeist abgefüllten) Tod beim Kartenspielen und verlängert die ihm (eigentlich nicht) zustehende Zeit auf Erden dadurch bis zu seinem neunzigsten Geburtstag. Dies wird im Himmel natürlich irgendwann bemerkt und dem Tod aufgetragen, den entgegen dem Weltenplan noch Lebenden schleunigst gen Himmel zu befördern. Dieses Unterfangen gelingt schlussendlich dadurch, dass man dem Brandner Kasper einen Einblick ins Paradis ermöglicht und ihm vor Augen führt, dass es dort ganz wunderbar ist.
Ich habe kurz gezweifelt, ob mir ein im hiesigen Dialekt vorgetragenes Theaterstück wohl zusagen und ich auch nur einen Ton verstehen würde – mitgegangen bin ich dennoch. So könnte ich wenigstens behaupten, mir soetwas mal heldenhaft angetan zu haben. Meine diesbezüglichen Bedenken stellten jedoch schnell als unbegründet heraus. Ja, der eine oder andere Satz ging inhaltlich dann doch an mir vorbei, im Großen und Ganzen konnte ich aber folgen. Entweder, weil die Sache mit dem Bayrischen vielleicht doch nicht so kompliziert ist, oder aber, weil ich mich nach meinen knapp zwei Jahren hier nun doch schon weitgehend an den Dialekt gewöhnt habe, auch wenn ich ihn sicher nie sprechen können werde (ich kann schließlich auch kein Schwäbisch und empfinde das jetzt nicht zwingend als Nachteil).
Bis zur Pause nach dem dritten Bild (man könnte es auch „Akt“ nennen) konnte ich dem Stück jedoch nicht allzuviel abgewinnen, wenn man von der brillanten Darstellung des Todes mal absieht. Nein, das Stück schien sich große Mühe zu geben, jedes Klischee zu unterstreichen, welche man von den Bayern als solche so hat: Sie sind die ganze Zeit am Nörgeln und schimpfen, permanent am Saufen, hören zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit Blasmusik, halten ihren Landstrich (und ihren Menschenschlag) für das Maß aller Dinge, sind intolerant, großkotzig, überheblich und streitsüchtig. Und reden komisch.
Dafür hätte ich nicht ins Theater gehen müssen, nach „Vorurteile über Bayern“ googeln hätte vermutlich genügt und wäre kostengünstiger gewesen.
Dieses Bild änderte sich dann im zweiten Teil allerdings gewaltig. Allein die Darstellung der im Himmelreich ablaufenden Prozesse und auftretenden Typen war derartig amüsant überdreht, dass man den bayrischen Himmel (natürlich gibt es einen bayrischen Himmel und ein bayrisches Paradies, es kann doch bitte keiner mit klarem Verstand von einem Bayern erwarten, dass er sich diese mit Preußen teilen muss, denn dann wäre es ja nicht mehr das Paradies!) einfach lieben muss. Die Ressentiments, die man den Bayern entgegenbringt, schrumpften plötzlich zu liebenswerten Macken und Eigenheiten, die dieser Volksstamm nunmal aufweist und die schlicht dazugehören. Plötzlich wird einem der Bayer als solcher sogar sympathisch, er mag zwar etwas derb und partiell engstirnig erscheinen, aber eben auch einsichtig, vernünftig und irgendwie liebenswert. Spätestens nach dem (umwerfend komischen) Auftritt des „Preußen“ wird auch dem letzten Skeptiker klar, dass nur der bayrische Weg erträglich und erstrebenswert ist.
Es hat großen Spaß gemacht, der Inszenierung zu folgen. Meiner Meinung nach ist es dieser zu verdanken, dass „die Bayern“ auf Außenstehende oder eben „Zuagroaste“ wie mich plötzlich eben nicht mehr arrogant und eingebildet, sondern durchweg sympathisch wirken. Dies liegt schlicht an den herzerfrischend zugespitzten humoristischen Elementen und der Selbstironie, die in die Inszenierung eingeflossen sind.
Bei meinen Recherchen zum Stück habe ich gelernt, dass die ursächliche volkstümliche Inszenierung von 1934 auf solcherlei Elemente gänzlich verzichtet. Hätte ich diese gesehen, wäre ich hinterher eher verstört bis ablehnend aus dem Theater gekommen, da sie wohl eher dazu führt, auf Außenstehende herablassend und blasiert zu wirken. Die im Volkstheater gebotene Fassung von 2005 ist da schon wesentlich „völkerverständigender“. Man mag sie plötzlich, diese schlitzöhrigen Urbayern, mehr noch, man kann sich fast nicht mehr vorstellen, sie nicht zu mögen.
Nachdem mir persönlich „Heimatstolz“ ja schon immer gänzlich abging, ich diesen ab einem gewissen Grad der Zurschaustellung sogar komplett ablehne, befürchte ich natürlich bei jedem volkstümlichen Stück zunächst das Schlimmste und gehe ihnen weitgehend aus dem Weg. Dies gilt auch für die volkstümlichen Dinge in meiner „Heimat“ (der Schwabe erscheint ja gern mindestens genauso arrogant wie der Bayer, was seine Einstellung zum eigenen Bundesland angeht). Im konkreten Beispiel bin ich dagegen sehr froh, dass ich mir das Stück angesehen habe – es war ein richtig schöner und amüsanter Abend!
Wenn also jemand überlegt, ob man sich den Brandner Kaspar wohl als Theaterstück antun sollte: ja, man sollte. Und es ist wirklich nicht schlimm, nicht jede sprachliche Nuance zu verstehen…