Das sicherste Konzert meines Lebens

Könnte ich es mir aussuchen, würde ich meine Hochzeit gern von der Musik eines Symphonieorchesters begleiten lassen. Gut, momentan ist kein Heiratstermin auszumachen und wo man die vielen Musiker dann unterbringen würde sei jetzt auch einfach mal dahingestellt – man wird ja mal träumen dürfen. Bis es soweit ist und die potentiellen logistischen Probleme gelöst sind, behelfe ich mir einfach mit dem Besuch von Konzerten, der (finanzielle) Aufwand fällt erheblich kleiner aus.
Im Rahmen meiner „Kulturwochen“ (Theater, Ballett, Museum…) verschlug es mich in die Münchner Residenz, in der das Abaco-Orchester aufspielte. Das ist das Symphonieorchester der Universität. Sollte sich jemand für dieses interessieren, gibt es hier ein paar Details.

Bevor ich mich allerdings dem Musikgenuss hingeben konnte (welcher, um vorzugreifen, mit Werken von Bruckner und Mahler übrigens ein Bisschen sperrig ausfiel), galt es allerdings einige Hindernisse zu überwinden. Vornehmlich die Tatsache, dass das ganze Gebiet rund um die Residenz hermetisch abgeriegelt war. Denn wie es der böse Zufall so wollte, fand in der Residenz gleichzeitig eine Veranstaltung (vermutlich ein orgiengleiches Abendessen) im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz statt. Und da die bayrische Landesregierung offenbar beschlossen hatte, dass man dies zum Anlass nehmen könnte, den Beweis anzutreten, wie ernst man im Freistaat die Sicherheit von Politikern und allerlei Vertretern der Waffenindustrie nimmt, wurden sämtliche verfügbaren Kräfte gebündelt, um Straßen und Wege zu sperren. Vermutlich hätte man in dieser Zeit an jedem beliebigen Ort in München ungestraft diverse Schurkenstücke begehen können, denn empfunden befand sich die gesamte Ordnungsmacht in unmittelbarer Nähe des Staatstheaters.

Nun muss man sich vor Augen halten, dass selbiges mitten in der Stadt liegt, umgeben von den Hauteinkaufsstraßen. Da man aber die Maximilianstraße abgeriegelt hatte, konnten die Fußgängerströme (und an einem Samstag Abend vor Geschäftsschluss sind diese wahrlich nennenswert) nicht die gewohnten Wege gehen. Und -aus meiner Sicht komplett unverständlich- selbst das Überqueren der Maximilienstraße war untersagt – unabhängig davon, ob der Konvoi der Großkopferten nun schon nahte oder nicht.

Es spielten sich ergreifende Szenen ab. Hilflose Fußgänger, die nicht wussten, wie sie nun Richtung Odeonsplatz gelangen sollten (der Umweg betrug übrigens etwa einen Kilometer, das nur am Rande), Passanten, die der ganzen Aktion kein Verständnis entgegenbrachten, in aufgeregten Diskussionen mit einzelnen Polizisten. Je nach dem an wen man geriet, konnte dies eine eher unangenehme Angelegenheit werden. Ich kam an einer kleinen Gruppe etwa Mittfünfziger vorbei, die sich gerade von einem Polizisten beschimpfen lassen musste. Wieder ein virtueller Strich auf meiner „Bayern übertreibt es mit der Polizei“-Liste. Dass das gemeine Fußvolk auf die Aktion kaum begeistert reagieren dürfte, müsste abzusehen gewesen sein. Dann aber Polizisten an die Front zu schicken, die nicht in der Lage sind ihre professionelle Freundlichkeit zu wahren und stattdessen Passanten anschreien geht einfach gar nicht. Aber wen interessiert schon das Volk, wenn man milliardenschweren Firmengesandten einen gemütlichen Abend ermöglichen will? Langsam müssten das gemeine Volk das ja nun wirklich begriffen haben.

Kleines Schmankerl am Rande: Man hatte sogar sämtliche Briefkästen entfernt – am Ende kommt gar ein Spitzbube auf die Idee, und platziert darin einen Knallfrosch oder gar Schlimmeres. Dass nicht auch die Gullydeckel zugeschweißt wurden wundert mich da schon fast, eventuell könnten sich irgendwelchen subversiven Subjekte ja aus dem Untergrund nähern und Frau Merkel eine lange Nase zeigen. Warum nur kommt mir andauernd der Begriff „unverhältnismäßig“ in den Sinn, wenn ich an die Polizei in München denken muss?

Wie dem auch sei, wir hatten Glück (in Form eines verständnisvollen und netten Herren in Grün – mindestens einer dieser Gattung war folglich vor Ort) und durften eben doch unter dem Absperrband durchkriechen und über die Straße sprinten. Aber nur heimlich, als kein Kollege zusah.

Das Konzert selber fand im Herkulessaal der Residenz statt, dem Veranstaltungsort für klassische Konzerte in München. Mit über 1200 Plätzen nicht gerade kein und weitgehend ausverkauft.

Gemessen an der Odyssee, die jeder Besucher hinter sich bringen musste um den Eingang überhaupt zu erreichen, war die Stimmung im Saal erstaunlich entspannt. Das könnte aber auch daran liegen, dass der Altersschnitt eher jung war, denn viele waren offensichtlich gekommen, um den Kommolitionen beim Spielen zuzusehen. Gut, ein paar Damen der Kategorie „Großmütter“ waren auch vor Ort, die wollten vermutlich dem Enkel auf der Bühne zujubeln. Würde meine Mutter auch tun, da bin ich mir ganz sicher ;-)

Das, was die studentischen Musiker zum Besten gaben, war in der Tat beeindruckend. Vermutlich hätte der ein oder andere Ansatz bei einem professionellen Orchester noch perfekter funktioniert, wäre die ein oder andere Note noch sauberer gespielt gewesen – aber für einen Laien wie mich war das nicht zu bemerken. Nein, ganz im Gegenteil. Die Studenten spielten sich durch Mahler’s „Lieder eines fahrenden Gesellen“ und Bruckner’s Sinfonie Nr. 6 in A-Dur. Beides nicht eben Werke, die man schon hundert mal gehört hat, mitsummt und im Takt mit den Fußspitzen wippt. Aber genau das war das Beeindruckende. Dass eine größere Gruppe von Studenten, deren Hauptbeschäftigung eben nicht das Musizieren ist, so etwas auf die Beine stellt. Trüge ich einen Hut, ich würde ihn ziehen.

Mein Fazit des Abends: Ich würde jederzeit wieder ein Konzert das Abaco-Orchesters besuchen und empfehle dies auch jedem Interessierten. Vielleicht gleiche ich dann aber beim nächsten mal ab, ob nicht zeitgleich wieder eine komische Veranstaltung mit Beteiligung von Staatsherren stattfindet…

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