Der Hirschgarten

Von meiner Wohnung aus kann ich drei Parks einigermaßen gut zu Fuß erreichen. Im Süden gäbe es den Westpark, im Nordwesten den Schlosspark Nymphenburg und fast direkt nördlich liegt der Hirschgarten. Letzteren habe ich mir an einem der vergangenen wunderschönen Spätsommerwochenenden mal näher angesehen. Der Fußweg dahin beträgt vermutlich rund zwei Kilometer und führt idealer Weise an einer Filiale einer großen amerikanischen Kaffeehauskette vorbei (nein, es ist nicht Starbucks), bei der ich mich zunächst mit einem koffeinhaltigen Eisgetränk eingedeckt habe. Es ist immer gut, die erste Pause einzulegen, ehe man das eigentliche Ziel des Ausflugs erreicht hat. Sowas stärkt Moral und Durchhaltevermögen, wovon man eine Menge benötigt, wenn man an einem Nachmittag bei sommerlichen Temperaturen ein Stück Grünfläche ansteuert – das haben etliche tausend andere Großstädter nämlich auch vor, die mit Kind und Kegel (bzw. Kubb-Spiel) dem verfügbaren Schatten entgegeneilen.

Der erste Eindruck war eher niederschmetternd – beim Hirschgarten handelt es sich um einen künstlich angelegten Park, der in seiner jetzigen Form Anfang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrtausends gestaltet wurde. Kinderwagentauglich asphaltiert, breit genug, um einer Horde nebeneinanderlaufender Walkerinnen Platz zu bieten und auf den ersten Blick nicht gerade ein Hort der Stille und Einsamkeit, in dem man sich ansiedeln würde, wäre man ein Hirsch.

Müsste ich einen Vergleich zu einem der Stuttgarter Parks ziehen, dann würde ich sagen: wie der untere Schlossgarten. Gut besucht von fröhlichen Familien, die dem Drang nach Verzehr von selbst verbranntem Fleisch frönen, welches zuvor rituell auf mitgebrachten grillähnlichen Gerätschaften zubereitet wurde. Dazwischen Mütter, die laut nach Stefanie rufen, weinender Nachwuchs, dessen Eis gerade auf den Weg gefallen ist, haufenweise Büdchen, die eine sofortige Ersatzbeschaffung ermöglichen und quer dazwischen etliche Dreijährige, die die definitiv noch nicht lange vorhandene Fähigkeit zum eigenständigen Fahrradfahren gleich durch verschärftes Ausüben der Disziplin „Slalom um möglichst viele Spaziergänger“ vertiefen – welches nicht selten mit einem gepflegten Sturz endet, welcher zur allgemeinen Erheiterung beträgt. Vor allem unter den eben waghalsig umkurvten.

Folgt man den Fußwegen, gelangt man beinahe zwangsläufig ans nordwestliche Ende des Parks, das relativ komplett von einem Biergarten eingenommen wird. Dieser bietet angeblich 8000 Plätze (sagt zumindest die Wikipedia). Wenn man diesen kurz ignoriert, findet man links davon tatsächlich ein kleines Wildgehege, welches unter Garantie keinen natürlichen Ursprung hat. Die Positionierung bietet sich an – der genervte Herr Vater bekämpft den Wochenendstress im Biergarten, während der Rest der Familie zum Füttern der Tiere abkommandiert wird. Das ist offiziell erlaubt (gebunden an die freundliche Bitte, man möge den Tieren doch bitte nur geeignetes Futter aufzwängen) und wird offenkundig auch gern praktiziert.

Neben diversen Hirschkühen konnte ich im Gehege doch tatsächlich viereinhalb Hirsche zählen, was einer Hirsch zu Biergartenplatz-Quote von eins zu etwa zweitausend entspräche. Während sich die Hirschkühe offenbar gerne begaffen lassen. scheinen die Herren der Hirsch-Schöpfung vom Trubel ganz schön genervt, sie ließen sich nämlich kaum einmal blicken, sondern versteckten sich weitgehend im Gebüsch. Lediglich einer erbarmte sich zu einem Schaulaufen und Probeessen. Seit dem weiß ich, dass der ernährungsbewusste Hirsch von heute italienischen Teigwarenerzeugnissen nicht abgeneigt ist. Was mich wiederum zurück zu der auf Schilder aufgebrachten Ermahnung bringt, man möge die Tiere doch bitte nicht mit jedem Quatsch füttern. Aber Lesen wird heutzutage ja sowieso überschätzt.

Da der Park als solcher nicht sonderlich groß ist, kann man ihn in wenigen Minuten durchlaufen und landet dann in einem dieser vermutlich wohlsituierten vorbehaltenen Neubaugebiete, welches östlich des Parks aus dem Boden gestampft wird. Das nennt sich dann garantiert „Wohnen fast im Grünen (und dank Dreifachverglasung bekommen sie von der fetten Bahnlinie direkt vor ihrem Haus bestimmt so gut wie nix mit und an den Lärm der vierspurigen Straße gewöhnen sie sich sicher auch total schnell)“ oder sowas und wird in 30 Jahren unsagbar hässlich aussehen. Aber heutzutage steht man ja auf solche boxartig geschachtelte Wohneinheiten und Wohnraum ist ja bekanntlich knapp. Von daher bin ich mir sicher, dass sämtliche Einheiten recht schnell an den Käufer/Mieter gebracht werden.

Nur so als Richtwert: Ich habe mir in der Nähe des Schlossparks Nymphenburg mal eine Wohnung in einem recht ähnlichen Wohngebiet angesehen. Die 55qm gab es für bescheidene 900 Euro zu mieten. Aber da war der Preis für Kabelanschluss und Internet schon enthalten.

Da hab ich’s doch lieber ein paar Meter weiter zum Park, dafür aber eine bezahlbare Bleibe in Laim…

 

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