Wo ist eigentlich „Heimat“?

Seit knapp über drei Monaten habe ich jetzt meine Wohnung in München. Wie oft ich dort auch übernachtet habe, steht auf einem ganz anderen Blatt. Fakt ist, dass ich mich seit geraumer Zeit eigentlich zwischen drei Polen hin und her bewege. Da wären München, natürlich Stuttgart und dann noch die diversen Städte bzw. Hotels, in die es mich mit schöner Regelmäßigkeit verschlägt, wenn ich Seminare halte oder andere Termine bei Kunden habe. Ich verzichte an dieser Stelle mal darauf, eine genaue Zählung „wieviele Nächte an welchem Ort“ durchzuführen, aber bei einem bin ich mir ziemlich sicher: München ist definitiv noch nicht mein Lebensmittelpunkt.
Das führt dann mehr oder weniger zwangsläufig zu der Frage, was ich denn nun als meine Heimat oder auch nur als „zu Hause“ definiere. Letzteres ist relativ einfach, „zu Hause“ können lustiger Weise drei Orte sein. München, Stuttgart und Ellhofen. Denn dahin fahre ich nach wie vor „nach Hause“, allerdings meistens erweitert um den Zusatz „zu meinen Eltern“. Auf München und Stuttgart trifft „zu Hause“ aber eben auch zu. Klar, wenn ich in München bin und „nach Hause“ gehe, dann ist das die Wohnung dort. Sage ich das im Büro in Stuttgart, könnten es zwei Orte sein, meistens meine ich dann die Wohnung in Stuttgart, manchmal meine ich aber eben auch München – wenn ich genau dorthin zurückfahre. Das irritiert die Kollegen dann oft völlig, weil ein „ich gehe jetzt nach Hause“ eben nichts darüber aussagt, welcher Ort das denn heute sein könnte. „Zu Hause“ ist folglich ein ziemlich flexibler Begriff, mit dem ich aber keine Probleme habe.
Nun mag ich „zu Hause“ ja definieren können (um ehrlich zu sein stört es mich nicht weiter, dass ich derzeit kein eindeutiges „zu Hause“ kenne), bei der Sache mit der „Heimat“ verhält es sich dagegen nicht ganz so einfach.
Manchmal frage ich mich, was oder wo „Heimat“ eigentlich ist? Der Ort, an dem ich aufgewachsen bin? Der, an dem ich die meiste Zeit verbringe? Oder doch der Ort, ab dem ich aktuell lebe? Die Zeit, in der ich mir musikalisch etwas aus Herbert Grönemeyer gemacht habe ist lange her, aber in diesem Zusammenhang fällt mir eine Zeile aus einem seiner Lieder ein: „Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl“. Wenn das stimmt (und aus dem Bauch heraus würde ich diese Zeile unterschreiben), dann ist meine Heimat überall, nur nicht in München. Nein, eigentlich betrachte ich Stuttgart nach wie vor als meine Heimat. Ein ganz eindringliches Erlebnis hatte ich diesbezüglich vor einigen Wochen. Die Wohnung in Degerloch hat auch den Vorteil, dass ich eine Rückreise von irgendwo nach München auch problemlos in Stuttgart unterbrechen und dort übernachten kann, wenn ich keine Lust mehr habe, zwei weitere Stunden im Zug zu sitzen, oder wenn mein Bechterew das Sitzen problematisch macht. Genau das habe ich an besagtem Abend getan, stieg in Stuttgart aus, lief in die Bahnhofshalle Richtung Klettpassage. Und an der Stelle, an der man in der Haupthalle die Rolltreppe nach unten nimmt, habe ich mich schlagartig „zu Hause“ gefühlt. Oder wenigstens das Gefühl dort angekommen zu sein . Das ganze verbunden mit einem gedanklichen Seufzer und „schön wieder hier zu sein“. Ob mir das nun Recht ist oder nicht, aber da war schlagartig das Gefühl „nach Hause zu kommen“. Völlig unabhängig davon, ob ich hier nun meinen Lebensmittelpunkt habe oder nicht. Oder welchen Luxus die Wohnung in Stuttgart (eben nicht) verströmt.
Im gleichen Moment bin ich darüber etwas erschrocken. Ich meine, ich lebe jetzt seit Mitte Juli in München (anfangs ja noch im Hotel, nicht in einer eigenen Wohnung) und habe dennoch das Gefühl, dass Stuttgart nach wie vor meine Heimat ist…
Nun liegt es natürlich auf der Hand, dass ich mich in Stuttgart nach wie vor wohler fühle als in München. Ich hatte rund zwanzig Jahre Zeit in der Stadt fast jeden Winkel kennenzulernen. Ich vermag mich quasi blind zu orientieren und schlussendlich leben eben auch die meisten meiner Freunde hier. So etwas kann man nicht in ein paar Monaten an einem anderen Ort ersetzen, von daher ist es vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis sich dieses Gefühl in München einstellt.
Andererseits bin ich diesbezüglich aktuell (was bitte wirklich als Momentaufnahme meiner Stimmung aufgefasst werden soll) nicht sonderlich optimistisch. München ist schön, keine Frage. Teilweise durchaus erheblich schöner als Stuttgart. Aber das allein genügt mir nunmal nicht um mich dort heimisch zu fühlen. Und es gibt da so ein paar Eigenheiten an München oder den Münchnern, bei denen mir Zweifel kommen, ob das wirklich jemals „meins“ wird. Zum Einen wäre da die geradezu groteske Meinung, München sei der Nabel der Welt und Bayern das tollste aller Bundesländer. Es ist bezeichnend, dass dort Bücher mit dem Titel „Bayern kann es auch allein“ geschrieben werden. Auf eine derart dämliche Idee kommt vermutlich außerhalb dieses Landes niemand. Dann wäre da die teilweise schon brechreizerregende Angewohnheit, zur Schau zu stellen, dass man etwas Besseres ist, was sich primär in Autos und Klamotten manifestiert. Etwas überzogen könnte man lästern, dass man in München zum Einkaufen in einem Aufzug geht, in dem man anderorts am Nachtleben teilzunehmen gedenkt. Das ist zweifelsfrei was Nettes für’s Auge, aber ansonsten kann ich damit eben nicht sonderlich viel anfangen. Man hat sich relativ schnell daran sattgesehen. Relativ schnell satt hat man als Zugezogener auch das, was jegliche höherrangigen Mitglieder der CSU von sich geben, den Dauerstreit zwischen Landesregierung (CSU) und Stadt (SPD) über empfunden so ziemlich jedes Thema.
Das ist mindestens so befremdlich wie den Zugezogenen nach Württemberg die Kehrwoche erscheint. Und trägt eben nicht gerade dazu bei, mich auf Anhieb wohl zu fühlen.
Um jetzt Missverständnissen vorzubeugen: Ich habe nichts gegen München, nein, im Gegenteil, meistens fühle ich mich da ziemlich wohl. Aber mir macht schlicht zu schaffen, dass eine „Assimilation“ eben doch erheblich länger dauert, als ich mir das wünsche. Erschwerend kommt sicher dazu, dass ich mit der zweiten Wohnung ja eine Art „Fluchtmöglichkeit“ habe und dadurch nicht mal gezwungen bin, mehr Zeit in München zu verbringen und dies auch relativ viel nutze. Scheinbar befinde ich mich damit dann in einem Teufelskreis. In München fühle ich mich noch nicht heimisch, in Stuttgart nach wie vor, was dazu führt, dass ich meine Zeit dort nach wie vor sehr gerne verbringe – aber so wird’s eben auch nix mit dem Heimisch-Werden in München.
Mal sehen, was das kommende Jahr diesbezüglich so bringen mag. Ich habe den festen Vorsatz, weniger unterwegs zu sein, als das in diesem Jahr war. Ob das beruflich machbar ist, wird sich zeigen, aber das kann ich durchaus beeinflussen. Und nachdem ich die ersten Monate in München primär dazu genutzt habe, mich in der Stadt orientieren zu können, sollte ich als Nächstes mal dringend damit beginnen, mehr Menschen kennenzulernen. Der gute Wille dazu ist wenigstens grundsätzlich vorhanden, wie gut der sich dann in Zählbares umsetzten lässt, werde ich wohl oder übel auf mich zukommen lassen.
Bleibt bis dahin nur das Fazit, dass ich in der „neuen Heimat“ definitiv noch nicht angekommen bin. Langsam wird mir deutlich, dass das ein ganz schön langer und beschwerlicher Weg werden könnte…

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