Happy Birthday, NSA-Affäre!

Ein Jahr ist es jetzt her, dass ein etwas milchgesichtiger Amerikaner nicht nur mein Weltbild ins Wanken gebracht hat (worüber ich ehrlich gesagt sehr froh und dankbar bin). Ein Jahr, in dem in schöner Regelmäßigkeit weitere Fakten auf den Tisch kamen, mit welcher unverschämten Kaltschnäuzigkeit die selbsternannten „Beschützer“ der Geheimdienste unser Leben unterwandern, mit welcher Unverfrohrenheit und Schamlosikeit Daten in unvorstellbarem Ausmaß gesammelt und im Zweifelsfall auch gegen uns verwendet werden. Sorry Leute, scheißt auf „1984“, wir sind offenbar schon längst eine Stufe weiter. Hätte ich nicht gedacht, aber Herr Snowden hat es bewiesen. Manches, was George Orwell seinerzeit schrieb, wirkt im Zuge der Enthüllungen schon beinahe „süß“.

Ich selbst stehe inzwischen auf dem Standpunkt, dass ich das Risiko, einem „Anschlag“ zum Opfer zu fallen, wesentlich lieber in Kauf nehmen würde, als irgendwem zu gestatten, alles, aber auch wirklich alles an Datenströmen anzuzapfen, zu speichern und zu durchsuchen. Ich wäre gerne bereit, meine dadurch angeblich gewonnene „Sicherheit“ wieder gegen „Freiheit“ einzutauschen. Selbst zu bestimmen, welche meiner Daten wo bekannt sind oder gar endlos lange aufgehoben werden.

Kann irgend einer der Befürworter solcher Aktionen mir bitte darlegen, wie oft mein Leben schon gerettet wurde, da all diese Daten gesammelt wurden. Nachvollziehbar? Belegbar? Keine staatliche Stelle der Welt gehen meine Mails, meine Geldflüsse, meine Bestellungen, von mir betrachtete Videos, meine Telefonate, mein Leben etwas an. Ob ich Tag und Nacht permanent Youporn konsumiere, mir Musik legal oder illegal besorge, meinen Freunden peinlich-anzügliche Bilder schicke, politisch linke, mittige oder rechte Publikationen lese, maximal einmal im Monat mit meinen Eltern aber täglich mit dem Pizzaservice telefoniere – das sind Informationen, die erstens privat und zweitens irrelevant zur Beibehaltung des Weltfriedens sind. Gespeichert werden sie dennoch. Sicherheitshalber. Man weiß ja nie, ob man diese Informationen nicht nochmal brauchen kann.

Wer entscheidet -und legitimiert- solche Dinge? Müsste man nicht, rein theoretisch, das betroffene Volk erstmal fragen, ob dieses eine solche Rundumüberwachung zu ihrem eigenen „Schutz“ überhaupt möchte? Und wie war das doch eigentlich nochmal mit der „Rechtstaatlichkeit“ und diesem Ding, über das ein paar mehr oder minder greise Herren in Karlstuhe zu wachen haben, dieses, äh, wie hieß es doch gleich, Grundgesetz? Ich kann mich nicht daran erinnern, zu irgend einer der Überwachungsmaßnahmen „aber gern!“ gesagt zu haben. Aber ich kann mich ja auch nicht daran erinnern, dass mich jemand gefragt hätte. Stattdessen entblödete sich ein gewisser Volksvertreter nicht, davon zu schwafeln, Sicherheit sei ein Supergrundrecht (und rechtfertige es, diverse andere, verfassungsrechtlich zugesicherte Grundrechte einfach mal mir nichts, dir nichts, zu ignorieren, dient ja schließlich unserer aller Sicherheit). Mir würde es ja schon genügen, wenn mir einer der politischen Befürworter solcher Aktionen diese mal eben in Einklang mit Artikel 20 des Grundgesetzes bringen könnte. Ach stimmt, ich vergaß, das neu eingeführte Supergrundrecht. Ja dann. Speichert ruhig weiter, dann ist ja alles gut und total legal.

Übrigens, für die Akten: mein Stuhlgang heute Morgen bewegte sich im Rahmen der üblichen Varianz im Bezug auf Menge und Konsistenz. Wer weiß, wieviele Leben diese Information eines Tages retten wird. Aber ich bin froh, dass NSA, BND und wie sie alle heißen, diese nun schriftlich und in ihren Datenspeichern abgelegt haben. Gibt mir ein gutes, nein, sicheres Gefühl.

So entsetzt ich über manche der aufgedeckten Dinge bin, noch entsetzter bin ich teilweise darüber, wie wir eigentlich mit diesem Thema umgehen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hat sich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis eine Taktik des Ignorierens, Verdrängens und Desinteresses breit gemacht. „Sollen sie meine Daten doch speichern, ich habe nichts zu befürchten“. Oh, wie ich mir bei einem solchen Satz den Finger in den Hals stecken möchte. Die betreffender Person packen, kräftig schütteln und verständnislos ansehen. Nichts zu verbergen? Ach bitte! Jeder von uns hat etwas zu verbergen, das Wort „privat“ hätte nicht erfunden werden müssen, wenn alle alles über alle wissen dürften und sollten. Für diejenigen, die die ganze Nummer offenbar noch immer nicht verstanden haben, hier mal ein wunderbares Youtube-Video, in dem dem geneigten Zuschauer erklärt wird, wo eigentlich das Problem liegt. Nehmt euch 10 Minuten Zeit, sie lohnen sich:

Warum empören wir uns eigentlich nicht über solche Dinge? Warum protestieren in Stuttgart tausende Menschen gegen den Neubau eines lumpigen Bahnhofes, nicht aber gegen eine vollständige und umfassende staatliche Überwachung? Wieso unternimmt eigentlich niemand etwas dagegen, dass an jeder Hausecke plötzlich Überwachungskameras hängen, der BND 300 Millionen Euro haben möchte, um Facebook und Twitter in Echtzeit überwachen zu können? Warum akzeptieren wir, immer stärker kontrolliert und überwacht zu werden? Weil man uns erzählt, es diene zu unserer Sicherheit? Und irgendwer soll das glauben? Wie geistig unterbelichtet muss eine solche Person eigentlich sein, die das als Grund akzeptiert? Liebe Leute, dann stellt euch doch bitte einfach hin und kommuniziert offen, um was es eigentlich wirklich geht: um schnöden Machterhalt. West über Ost, Nord über Süd, Gut über Böse, weiß über schwarz. Genau dazu kann man diese vielen Informationen nämlich ganz hervorragend nutzen. Hier ein paar politische Gegner inhaftieren, da ein paar unliebsame Menschen verschwinden lassen.

Bei all meiner Frustration über solche Dinge, freue ich mich immer, wenn mir kleine Akte des Aufbegehrens und des Aufwiegelns über den Weg laufen. Wie neulich in München, als ich eine Plakatwand fand, auf der jemand Werbung für Fefe’s Blog gemacht hat. Fefe, Felix von Leitner, muss man nicht kennen, sofern man kein Nerd, ITler oder Sicherheitsexperte ist. Man sollte aber, finde ich. Da er in seinem Blog sehr unverblümt den ganzen Wahnsinn aufgreift und thematisiert, der rund um uns herum stattfindet. Der hinschaut und nicht, wie so viele, möglichst unbeteiligt weg. Solltet ihr euch ansehen. Und öfter mal Partei ergreifen. Aufstehen. Etwas tun. Statt einfach nur klaglos hinzunehmen, dass eine kleine Gruppe durchgeknallter, paranoider Spinner (nichts anderes sind sie in meinen Augen, ob bei der NSA, dem BND oder einem anderen Dienst) macht was sie will. Und uns schlussendlich unserer Freiheit beraubt, anstelle sie zu schützen, wie sie es so gern behaupten.

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