Musikgenuss

Die Musik von Tori Amos begleitet mich seit mehr als zwanzig Jahren. 1992 habe ich mir ihre erste CD „Little Earthquakes“ gekauft, die ich noch heute relativ regelmäßig höre (und nach wie vor für eine ihrer besten halte). Zwischenzeitlich hatte ich ihr Schaffen ein Wenig aus dem Blick verloren, da einige ihrer späteren Werke zweifellos anspruchsvoll, ambitioniert und musikalisch beeindruckend waren, aber partiell eben auch ein bisschen arg durchgeknallt. Zweifellos gut für’s Feuilleton, aber nicht unbedingt dazu verleitend, ihre Musik „nebenher“ zu konsumieren.

Als ich mir Anfang des Jahres einen Überblick darüber verschafft habe, welche Konzert-Highlights meine Wahlheimat denn in den kommenden Monaten zu bieten habe, sprang mir der 10.06. ins Auge. Tori Amos. In der Philharmonie am Gasteig. Zu, leider, relativ happigen Preisen. Dennoch war der Erwerb eines Tickets für mich eigentlich das, was man heutzutage gerne als „no-brainer“ bezeichnet. Ja, es war vermutlich das teuerste Konzertticket, das ich mir 2014 gönnen werde, aber der Reiz, diese Frau mal live zu erleben, war schlicht zu groß. Zumal mir ihr aktuelles Album „Unrepentant Geraldines“ sehr gut gefällt. Das wusste ich zum damaligen Zeitpunkt allerdings noch nicht, es war noch nicht veröffentlicht. Und es sollte im Kontext des Konzertabends auch keine nennenswerte Rolle spielen.

Eröffnet wurde der Abend von Trevor Moss und Hanna-Lou (auch Moss übrigens, wie mir das Internet verriet), einem Musiker-Duo, das gefälligen, akustischen Folk zum Besten gab. Schlicht. Unkompliziert. Schön. Weit bewegender (und irgendwie nachhaltiger) als das Gebotene war allerdings die Frage, warum sich die beiden eigentlich ein einzelnes Mikrophon teilen mussten. Keine freien Kanäle am Mischpult? Schwer vorstellbar. Vielleicht mussten sie ja auch ihr Equipment selber transportieren und sie wollten Gewicht sparen? Ich habe nicht den Hauch einer Idee. Letztlich ging es den beiden allerdings leider wie jeder Vorgruppe vor einem „großen“ Künstler: man hat ihre Darbietung freundlich zur Kenntnis genommen, an den richtigen Stellen applaudiert und schlussendlich trotzdem nur darauf gewartet, dass sie die Bühne räumen. Wobei man ihnen damit eigentlich Unrecht tat, denn musikalisch waren sie wirklich gut. Sie klangen ein Bisschen wie die Weepies,  wobei ich ja fürchte, dass die auch kaum ein Mensch kennt. Wie die meisten Folk-Musiker. Dabei hätten sie es verdient, ein etwas breiteres Publikum zu erreichen, was sowohl für die Weepies, als auch für Trevor Moss und Hanna-Lou gilt.

Um kurz nach neun war es dann soweit. Tori betrat unter frenetischem Applaus der Massen die Bühne. Allein. Der Rest des Abends gehörte ihr und den beiden parallel von ihr genutzten Tasteninstrumenten. Und die wusste sie zu nutzen. Es ist beeindruckend, was sie klanglich mit einem Flügel und ihrer Stimme anzustellen vermag. Der zusätzlich zum Flügel genutzte Synthesizer (meist, aber eben nicht ausschließlich, im E-Piano-Modus) erweitert das klangliche Potential zu einem in Summe ungemein umfangreichen Spektrum. Sehr beeindruckend. Zumal der Klang in der Philharmonie ziemlich gut ist (auch wenn sie unter Anhängern der klassischen Musik keinen wahnsinnig guten Ruf genießt – besser als eine „normale“ Halle klingt sie in jedem Fall).

Das gebotene Programm war ein Auszug aus allen Schaffensperioden. 16 CDs hat sie seit 1992 veröffentlicht und ich glaube, aus fast allen flossen einzelne Stücke ein. Aus dem aktuellen Album übrigens genau zwei. Und, und das war das eigentlich Überraschende: sie ließ Coverversionen einfließen. In München (und nur hier) „We belong“ (Pat Benatar) und „Because the night“ (Patty Smith). Dieser Song hat inwischen auch seinen Weg auf youtube gefunden, obwohl die im Saal anwesenden Ordner versucht haben, das Mitfilmen einzelner Songs zu unterbinden (welch albernes Unterfangen – als ob ein qualitativ eher suboptimales Handy-Video Schaden anrichten würde):

Bei der Suche nach Videos vom Konzert aus München habe ich dann gelernt, dass kein Konzert der „Unrepentant Geraldines“-Tour gleich abläuft. An jedem Ort spielt Tori andere Coverversionen und wechselt auch die eigenen Songs aus. Ich bin auf ein Blog gestoßen, das etliche Bootlegs der aktuellen Tour bereitstellt (auf youtube selbst kursieren auch einige komplette Mitschnitte) – die dort aufgeführten Tracklisten zeigen die Varianz des abendlich Gebotenen sehr deutlich. Das ist natürlich einer der Vorteile, wenn man ohne zusätzliche Musiker auf der Bühne steht – es genügt, wenn man selbst die dargebotenen Stücke spielen kann. Mir gefällt dieses Konzept! Andererseits weckt es natürlich auch Begehrlichkeiten – wie gern hätte ich beispielsweise ihre Version von „The boys of summer“ (Don Henley) gehört, den sie in Frankfurt spielte. Oder „Frozen“ (Madonna), das sie in Amsterdam im Programm hatte. „Nothing else matters“ (Metallica) gab’s in Birmingham, „Love is a battlefield“ (Pat Benatar) – Rotterdam, „Sorry seems to be the hardest word“ (Elton John) in Brüssel. Und sogar Conchita Wurst hat es in ihre Setlist geschafft, „Rise like a phoenix“ spielte sie in -kaum überraschend- Linz.

Diese Liste lässt sich noch fast beliebig fortsetzen (einfach mal bei youtube nach „Tori Amos 2014“ suchen). Vor dieser Idee ziehe ich definitiv den Hut und es fühlt sich irgendwie schön an, ein wirklich einmaliges Konzert von Tori gesehen zu haben, das es in dieser Form kein weiteres mal gab oder noch geben wird.

Einige meiner ewigen Favoriten spielte sie in München: „Silent all this years“ vom ersten Album und „Cornflake Girl“ vom zweiten, wobei es mir ein Bisschen rätselhaft ist, warum sie sich hier dann doch begleiten ließ – eingespielt vom Band. Eine reine Klavier-Version hätte sie da sicher auch locker aus der Hüfte schütteln können. Es wirkt einfach ein Bisschen komisch, wenn ein Song plötzlich in kompletter Band-Version zu hören ist, diese aber nicht auf der Bühne steht. Hier das entsprechende Video aus Birmingham:

Es gibt nicht viel zu deuteln: Tori Amos ist einfach gut!

Bei allem Geschwärme für die musikalische Leistung und das Konzert-Konzept: Es bleiben durchaus auch Wermutstropfen. Zum Einen hätte ihr über die Jahre ungemein umfangreich gewordenes Repertoire sicher noch den einen oder anderen Song hergegeben, den sie dem Programm hätte hinzufügen können. Denn die Konzertdauer war mit eineinhalb Stunden relativ kurz. Eine Unsitte, die heutzutage leider immer häufiger anzutreffen ist – gemessen am Preis der Eintrittskarten ist das schon ein Bisschen dürftig. Zusätzlich, und das wiegt für mich schwerer, wendet sich Tori während ihrer Konzerte so gut wie gar nicht an das Publikum. Es gab meiner Erinnerung nach maximal drei kurze Sequenzen, in denen sie etwas zu „uns“ gesagt oder etwas erzählt hat. Genau das macht in meinen Augen jedoch einen großen Teil der Bühnenpräsenz eines Künstlers aus – wie er bzw. sie mit dem Publikum interagiert. In dem Zusammenhang erinnere ich mich sehr gerne an drei Konzerte (Bruce Hornsby, Roachford und Marc Cohn), bei denen die Künstler das Publikum beispielsweise spontan fragten, welchen Song sie als nächsten spielen sollten. Oder eben Geschichten aus dem Touralltag erzählen. Witze machten, mit dem Publikum flirteten. Mit den musikalischen Inhalten hat das in meinen Augen nicht viel zu tun. So vermittelte das Ganze stark den Eindruck eines bloßen Jobs. Tori Amos kommt auf die Bühne, spielt eineinhalb Stunden und verschwindet nach zwei Zugaben sehr, sehr schnell von der Bühne. Da könnte man sich eigentlich auch einfach einen kompletten Konzertmitschnitt ansehen.

Ich habe ein paar Tage lang überlegt, ob mir dieses Auftreten den Konzertgenuss nachhaltig verdorben hat. Musikalisch betrachtet war der Abend schlicht brillant, keine Frage. Aber das „Mehr“, wegen dessen man eigentlich Konzerte von Künstlern besucht, fand im gegebenen Fall schlicht nicht bzw. in kaum nennenswertem Umfang statt. „Sie ist halt schon ne Diva“, kommentierte mein Begleiter lapidar das abrupte Ende der Veranstaltung. Da hat er wohl Recht.

Ganz ehrlich, Tori? Ich fand dein Konzert richtig, richtig gut. Andererseits hast du mir (über die einmalige Programmgestaltung hinaus) keinen Grund gegeben, eventuell ein weiteres von dir zu besuchen. Ich kann mich in Zukunft auch wieder ruhigen Gewissens auf den Genuss deiner CDs beschränken. Daran könntest du noch arbeiten ;-)

 

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