Wo Stuttgart von München lernen kann

Ich empfinde städtische Fußgängerzonen in der Vorweihnachtszeit bekannter Maßen als Vorhof zur Hölle. Nicht nur, dass das Gros der Menschen ihre Weihnachtsgeschenke offensichtlich noch immer nicht online kauft, sondern einen masochistischen Spaß daran zu haben scheint, sich an Samstagen durch die Innenstädte zu schieben. Nein, auch die Anzahl offensichtlich talentbefreiter Straßenmusiker nimmt empfunden mit jedem Tag zu. Lassen wir die mit Eröffnung der Weihnachtsmärkte aus allen Winkeln hervorkriechenden geigenden und blockflötenden Kinder mal außen vor (deren Auftritte empfinde ich eher als mutig denn peinlich), bleiben genug Beispiele über, deren Präsenz zumindest bei mir das Gegenteil dessen bewirkt, was man sich von Straßenmusikern eigentlich erhofft: in mir melden sich schlagartig Fluchtreflexe.

Diejenigen unter euch, die hin und wieder in Stuttgart auf der Königstraße entlangflanieren, haben mit Sicherheit bereits Bekanntschaft mit meinem Feindbild Nummer eins gemacht, einer Combo, deren musikalische Ergüsse in meinen Augen in der Lage sind, sofortige Hirn- (oder wenigstens Ohr-) Blutungen hervorzurufen.

“Wah, die Aztekenkellys” antwortete eine Freundin neulich, als ich obenstehendes Bild mit dem begleitenden Text “Dinge, die ich in München nicht vermisse” dem digitalen Malhstrom von Twitter überließ. Denn in der Tat: solcherlei Notstromaggregat-verstärkter Zumutungen wird man in der bayrischen Landeshauptstadt nicht ausgesetzt. Man mag über die Regelwut der Bayern ja denken was man will, aber diesbezüglich hatten die Herren im Rathaus eine glänzende Idee: der willige Barde darf sich nicht einfach an die nächste Straßenecke stellen und loslegen, nein, in München bedarf es hier zunächst einer Genehmigung (Kostenpunkt: 10 Euro pro Tag), ansonsten droht Unbill:

Darbietungen ohne Erlaubnis werden gemäß §7 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten OwiG (BGBL III 454-1 in Verbindung mit §7 Buchstabe b) AFS in Verbindung mit Art. 66 Nr. 2 BayStrWG mit einem Bußgeld belegt.

Konkret bedeutet das: Es ist genau geregelt, wie viele Straßenmusiker/Künstler in der Fußgängerzone auftreten dürfen (fünf). Es ist geregelt, welche Instrumente nicht zum Einsatz kommen dürfen (Blasinstrumente (Trompete, Saxophon, Posaune, etc..) / Schlagzeug und ähnliche Rhythmusinstrumente / Dudelsackpfeifen / Drehorgeln / Keyboards / elektronische Instrumente / Verstärker), es wird vorgeschrieben, wie oft der Standort gewechselt werden muss (stündlich) und das Allerbeste (ich zitiere aus einem Infoblatt für Straßenmusiker):

Die Musikerinnen und Musiker müssen in der Stadt-Information vorspielen.

Heißt: In irgend einer Amtsstube im Münchner Rathaus sitzt eine bedauernswerte Person, die sich allmorgendlich anhören muss, was die Musiker” darzubieten gedenken und mit welchen Instrumenten sie das tun. Und nur wer bzw. was gefällt, bekommt die erforderliche Genehmigung, die in München auch tatsächlich kontrolliert wird. Konsequenz: Die Straßenmusik in der Münchner Fußgängerzone erfreut sich eines beachtlichen Niveaus – zumindest wenn man es mit dem in Stuttgart Gebotenen vergleicht.

Lustiger Weise regelt auch Stuttgart die Standorte und akzeptierte Instrumentalisierung für Straßenkünstler, ich habe ein entsprechendes PDF im Netz gefunden.  In diesem steht unter Anderem:

Gruppen von mehr als drei Personen du?rfen nicht musizieren.
Die Benutzung besonders lauter oder sto?render Musikinstrumente ist nicht erlaubt.

Lautversta?rker sowie Tonu?bertragungsgera?te aller Art du?rfen nicht benutzt werden.

Was mich wieder zurück zu den Aztekenkellys führt. Die bringen ohne Lautsprecher keinen Ton raus und sind definitiv mehr als drei Menschen. Da frage ich mich doch, wozu es solche Vorschriften gibt, wenn sie offensichtlich nicht weiter überwacht werden.

Nun gebe ich ja gern zu, dass es in Stuttgart auch vereinzelt durchaus gute Musiker gibt. Ein Highlight diesbezüglich war für mich die Zeit (ich war beruflich vor Ort), in der die jährlichen Jazztage veranstaltet wurden und etliche der dort auftretenden Bands die Gelegenheit nutzten, auch auf der Königstraße zu musizieren. Die (wirklich gute) “Mitte Big Band” beispielsweise riss den ein oder anderen Zuhörer zu einem spontanen Tänzchen hin (was nun mal wirklich rührend aussah).

Und ich kam in den Genuß “Honest Talk” kennenzulernen – einer mit Musikern aus diversen osteuropäischen Ländern bestücken Jazz-Kapelle, deren Spiel mich zum ersten mal überhaupt dazu verleitete, eine CD der gesehenen Künstler zu erwerben. Ironischer Weise konnte ich dem Booklet entnehmen, dass die Herren sich an der Münchner Musikhochschule kennengelernt haben. Dort treten sie auch vorwiegend auf – meistens am Odeonsplatz, wo ich sie seitdem schon zwei mal wiedergesehen habe. Ich bleibe jedes mal wieder kurz stehen und höre zu.

Sollte also jemand der akustischen Verbrechen überdrüssig sein, die einem in Stuttgart um die Ohren gehauen werden, dem kann ich einen Ausflug nach München sehr empfehlen. Die Läden sind weitgehend sowieso die gleichen – aber das musikalische Rahmenprogramm ist definitiv besser.

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