Höchste Zeit etwas zu ändern. Eher vieles.

Mit diesem Artikel gehe ich schon eine ganze Weile Schwanger, wie man so nett sagt. Weil ich mir selber nicht so ganz sicher bin, wie offen ich eigentlich mit dieser Thematik umgehen sollte oder möchte. Und vielleicht schreibe ich ihn ja auch mehr für mich selbst als für den ausgewählten Kreis derer, die ihn hier lesen können. Es ist auf alle Fälle der mit Abstand längste, den ich bisher geschrieben habe. Und irgendwie auch der spannendste. Und persönlichste.

Vorweg: Der Artikel ist genau darum kein öffentlicher. Und ich möchte vor allem die paar wenigen Kollegen die ihn lesen dürfen darum bitten, den Inhalt erstmal für sich zu behalten. Lesen können das hier alle Menschen, die entweder zur Familie gehören oder die ich als „Freunde“ definiere. Und in diesem Kreis soll das auch erstmal bleiben. Zumindest bis ich mich anders entscheide.

Vielen dürfte aufgefallen sein, dass ich in den letzten Monaten wesentlich „krummer“ geworden bin, als das bis dato der Fall war. Ich habe mich im Lauf der Jahre mit meinem Bechterew irgendwie arrangiert, mal mehr, mal weniger – aber inzwischen ist ein Punkt erreicht, an dem ich mir selber nicht mehr schönreden kann, dass mein Körper sich nicht eben zu meinem Vorteil verändert. Zu häufig habe ich arge Probleme, den Kopf wenigstens soweit zu heben, dass ich wirklich geradeaus schauen kann, von „nach oben“ reden wir mal lieber gar nicht. Abends empfunden fünf bis zehn Zentimeter kleiner zu sein als morgens, weil ich eben völlig krumm durch die Gegend laufe ist auch nicht eben etwas, das sich großartig anfühlt. Und je nach Tagesform 800 oder gar 1200mg Ibuprofen zu schlucken drückt zwar die begleitenden Schmerzen einigermaßen weg – helfen tut das aber offensichtlich auch nicht (was es eigentlich sollte).

Irgendwann im Oktober war es wieder mal soweit, dass ich meinen Kopf so ziemlich überhaupt nicht mehr bewegen konnte, was mich flugs in die Arme meines Orthopäden getrieben hat. Um die Sache etwas abzukürzen: er hat mir relativ deutlich zu verstehen gegeben, dass ich bitte dringend zu einem Rheumatologen gehen und mich mit diesem über sogenannte „Biologicals“ unterhalten solle. Denn meine Bewegungsfähigkeit habe im letzten Jahr wesentlich stärker gelitten, als das eigentlich sein solle und als es in den Jahren davor war. Er als Orthopäde könne an meinem gegenwärtigen Zustand nicht viel ändern – außer mir die obligatorische Krankengymnastik zu verschreiben. Und wenn sich meine Krankheit in dem Tempo weiter entwickle, wie sie das in den letzten Monaten getan habe, dann… Naja, eigentlich nichts „dann“. Sie darf nicht entsprechend zügig voranschreiten. Punkt.

Ich bin schon glücklicher aus einer Arztpraxis herausgekommen, würde ich sagen. Strenggenommen fühlte sich das in dem Moment inetwa so an, wie es damals -1999- war, als mir der damalige Arzt erklärt hat, dass ich Bechterew habe und damit eine Krankheit, die ich mein Leben lang nicht mehr los werden werde. Nicht gerade das, was man im Alter von 25 hören möchte. Eher etwas schockierend.

Der Punkt ist: die körperliche Veränderung hat relativ lange auf sich warten lassen (zumal ich sie selber kaum wahrnehme – ich kann nicht abschätzen, wie gerade oder krumm ich gerade bin). Klar, die Schmerzen waren da, aber gegen die gab oder gibt es Abhilfe. Ziemlich günstig in der Apotheke auf Rezept zu erwerben.

„Bechterewler brauchen viel Bewegung“, heißt es. Einem Leitsatz, dem ich in höchst unterschiedlichen Intensitäten nachgekommen bin. Wenn ich mal einen längeren Zeitraum zurückdenke, dann würde ich mein Verhalten mit dem empfunden eher aufgezwungenen Lernen eines Musikinstrumentes vergleichen. Die Tatsache, dass einem die Eltern „du wirst es später mal bereuen, wenn du jetzt nicht übst“ sagen hat etwas reichlich abstraktes. Ich sah ja überhaupt keine Notwendigkeit darin, später mal ein Instrument perfekt zu beherrschen. Meine Interessen sind und waren doch völlig andere und außerdem: was soll mir schon fehlen, wenn ich kein grandioser Pianist bin? „Ein Bisschen“ genügt doch völlig.

Nunja (die Eltern werden es gegebenenfalls milde lächelnd zur Kenntnis nehmen): natürlich würde ich mir heute wünschen, richtig gut Klavier spielen zu können. Nicht eben die Kirchenmusik- und Klassik-Ecke, in der sich ein Großteil meiner Familie tummelt, aber da gäbe es ja auch andere Felder. Aber ich schweife ab.

Für mich ist der Vergleich nur daher wichtig, weil mein Therapie-Verhalten sehr ähnlich war. Ein Bisschen was tun. Nicht gar nichts, aber eben auch nicht überzeugend viel und konsequent. Und so wache ich dann (im übertragenen Sinne) irgendwann auf und frage mich, wie viel weniger Probleme ich eigentlich hätte, wenn ich diese oder jene Menge mehr für meinen Körper getan hätte. Erfahren werde ich das nicht und es ist auch nicht so, dass ich mir schreckliche Vorwürfe machen würde – aber „mehr“ wäre eben auf alle Fälle gegangen. Mehr geht eigentlich immer.

Stattdessen sind die körperlichen Auswirkungen nun eben sichtbar (das sind sie natürlich schon länger, aber eben bei weitem nicht so deutlich und stark ausgeprägt wie aktuell) und an schlechten Tagen überlege ich mir, dass ich doch eigentlich noch nicht mal 40 bin – wie sehe ich denn dann bitte mit 60 aus? Und – auch sowas kommt einem dann in den Kopf, dem Single-Dasein sei dank: welche Frau begeistert sich eigentlich für einen Mann, der so aussieht wie ich? Ohne Aussicht, dass sich das ändert?

Keine Sorge: solche Gedanken mache ich mir nicht allzu häufig und ich sehe mich wahrlich nicht am Rande einer Depression – aber die Grundsituation würde ich als „ziemlich unbefriedigend“ beschreiben.

Wie dem auch sei: der angesprochene Arztbesuch hat schlagartig etwas verändert. Ziemlich vieles sogar. Zunächst mein eigenes Verhalten: Ich habe mein Ernährung und Essgewohnheiten auf den Kopf gestellt (nichts speziell Bechterew-mäßiges, aber ernsthaft gesund) und ich habe angefangen konsequent Sport und Gymnastik zu betreiben. Die verschriebene Krankengymnastik sowieso, darüber hinaus einmal wöchentlich eine Rückengymnastik-Gruppe, täglich zwei bis drei Gymnastik-Einheiten zwischen einer halben und einer Stunde. Direkt nach dem Aufstehen, vor dem Schlafengehen und immer mal wieder zwischendurch. Plus etwa einer Stunde Radfahren auf meinem Rollentrainer. In Summe komme ich derzeit täglich auf 2,5 Stunden Bewegung, mal etwas weniger, mal etwas mehr. Drei Stunden sind durchaus auch mal drin.

Letztlich und leicht zugespitzt bedeutet das, dass ich seit fast einem Monat eigentlich nichts mehr anderes tue als Schlafen, Essen, Arbeiten und Sport. Ein Zustand, der nicht ewig so weitergehen kann, dazu habe ich schlicht die Zeit nicht, auch wenn der Arbeitgeber mir deutlich gemacht hat, dass es eben kein Problem ist, wenn ich meine Arbeitszeit aus diesem Grund etwas reduziere. Aber ein Bisschen Leben wäre eventuell ganz nett.

Das Gute ist: Dieser ganze Aufwand zahlt sich aus: Mein Rücken ist wesentlich gerader (ich habe neulich zum ersten mal seit Jahren mit einem Bisschen zusätzlichem Strecken den Kopf auf den Boden bekommen, wenn ich mich auf dem Boden flach auf den Rücken lege – das konnte ich eigentlich schon seit Jahren nicht mehr), ich komme mit 400mg Ibuprofen aus, meistens erst unmittelbar vor dem Schlafengehen. Ich kann wieder einigermaßen nach oben sehen und so weiter. Nüchtern betrachtet nichts sensationelles, aber für mich fühlt sich das durchaus sensationell an.

Allerdings funktioniert das wirklich nur mit dem oben aufgezählten Bewegungspensum. Lasse ich auch nur eine Einheit davon weg, wird alles sofort wieder deutlich schlechter. Das ist ein Problem, denn ich hatte nicht geplant, mein restliches Leben mit diesem Tagesablauf zu verbringen.

Und da kommen nun die vom Orthopäden angesprochenen „Biologicals“ ins Spiel. Ich bin in Pasing bei einer Rheumatologin gelandet, die auf Bechterew spezialisiert ist und die dem Internet zufolge ein gewisses Renommee hat. Die hat mich (ich glaube, das habe ich in der Form und Ausführlichkeit noch nie erlebt) rund eineinhalb Stunden von oben bis unten Untersucht und beraten. Ein für mich ungemein wichtiges Fazit gab es auf Nachfrage zum Abschied: Mein Zustand sei -unter Berücksichtigung der Umstände- noch einigermaßen gut.

Sie rät mir zu einer sogenannten „Basistherapie„. Das sind dann die angesprochenen Biologicals. Konkret geht es um eine Behandlung mit sogenannten TNF-Alpha Blockern. Hier sollte ich wohl ein klein Wenig ausholen (es folgt eine keinen medizinischen Ansprüchen genügende Zusammenfassung, ich habe entsprechende Links zu genaueren Beschreibungen gesetzt):

Bei rheumatischen Erkrankungen handelt es sich ganz grob Vereinfacht um eine Abwehrreaktion des Immunsystems auf etwas, das gar nicht vorhanden ist. Der Körper nimmt eine Bedrohung war und reagiert entsprechend darauf. Da es diese Bedrohung aber gar nicht gibt, greift er sich letztlich selbst an. Bei Bechterewlern führt das dazu, dass Knochenmaterial neu gebildet wird – welches dann in aller Regel als Stege zwischen den Wirbeln sichtbar wird. Und diese führen dann wiederum dazu, dass man die entsprechenden Wirbel schlechter bis gar nicht mehr bewegen kann. Meine Röntgenbilder zeigen solche Stege. Vereinzelt, aber sie sind da.

TNF-Alpha Blocker schalten nun einigermaßen gezielt bestimmte Teile des Immunsystems aus – nämlich möglichst die, die für diese Überreaktion verantwortlich sind. Dadurch kann man den Bechterew dann quasi am Fortschreiten hindern, da diese fehlgeleiteten Angriffe aufhören. Man kann nichts rückgängig machen und man kann Bechterew auch nicht heilen. Aber man kann den gegenwärtigen Zustand quasi einfrieren. Wenn alles gutgeht.

Diese Möglichkeit ist relativ neu, es gibt keine Studien zu diesem Thema, die einen längeren Zeitraum als zehn Jahre abdecken. Es gibt jedoch ausreichend viele Studien die belegen, dass es den Betroffenen entschieden besser geht. Scheinbar wirklich entschieden. Und das relativ kurzfristig.

In der Idealtheorie sieht das dann so aus: Die Bildung von Antikörpern unterbleibt, womit die Knochenbildung verhindert wird. Darüber hinaus gehen die muskulären Entzündungen komplett zurück, was wiederum erstens die Schmerzen eliminiert und zweitens die Chance bietet, die Muskulatur wieder gezielt aufbauen zu können. Es soll also unter Anderem das passieren, was eigentlich schon die bisher von mir geschluckten Antirheumatika tun sollten aber nachweislich nicht tun: die Entzündungen abstellen. Das heißt auch: Die „traditionellen“ Methoden können -so sie funktionieren- zwar die Entzündungen und Schmerzen in den Griff bekommen, die Verknöcherungen verhindern sie nicht.

Klingt nun erstmal ziemlich verlockend. Weniger verlockend klingt aber die Tatsache, in das Immunsystem einzugreifen. Was hilft es mir, wenn ich nicht krummer werde, wenn mich dafür jeder Schnupfenbazillus niederstreckt oder ich mir an der nächsten Ecke eine Lungenentzündung einfange? Allerdings hat man dies angeblich (ich kann es schwerlich prüfen) inzwischen recht gut im Griff, der Eingriff erfolgt sehr gezielt auf bestimmte Teile des Immunsystems, nicht auf das Gesamte. Risiken gibt es natürlich dennoch: so scheinen beispielsweise einige der Testdaten-Panels ein erhöhtes Hautkrebs-Risiko nachzuweisen. Und ein erhöhtes Risiko zur Lymphombildung gilt als relativ gesichert. Liest man sich die möglichen Nebenwirkungen der infragekommenden Medikamente mal genauer durch, dann könnte einem durchaus spontan schlecht werden – allerdings stand auch im Beipackzettel meines allerersten Medikamentes Amuno etwas von vereinzelten Todesfällen. Ganz abgesehen davon spricht ja nichts dagegen, die Sache mal auszuprobieren. Sollten entsprechende Unverträglichkeiten eintreten, kann man ein Medikament ja auch wieder absetzen.

Ein weiterer -für mich aber nachrangiger- Nachteil ist die Tatsache, dass die Behandlung extrem teuer ist. Die Medikamentenkosten belaufen sich auf über 20000 Euro im Jahr – die allerdings von der Krankenkasse übernommen werden. Dennoch stelle ich mir zwangsläufig die Frage, ob eine nicht tödlich verlaufende Krankheit Behandlungskosten in solcher Höhe rechtfertigen. Allerdings sollte ich hier wohl etwas egoistischer denken lernen – und da diese ganzen Medikamente noch sehr neu sind, ist davon auszugehen, dass sie in absehbarer Zeit einem Preisverfall ausgesetzt sein werden, sobald entsprechende Generika existieren.

Verabreicht wird das Ganze durch Spritzen in die Bauchdecke. In Tablettenform kann man sie nicht verabreichen, da es sich um Eiweiß-basierte-Wirkstoffe handelt, die im Magen zersetzt würden. Kann man aber scheinbar nach Einweisung selber tun, je nach Dosierung einmal die Woche bis einmal im Monat. Prinzipiell lebenslang, mit der Aussicht, die Dosierung irgendwann etwas herunterfahren zu können.

Das wäre dann inetwa der aktuelle Stand. Am Montag der nächsten Woche habe ich den nächsten Termin, an dem wir diverse Blutwerte durchgehen werden, denn an eine solche Behandlung ist grundsätzlich nur zu denken, wenn ich beispielsweise keine Hepatitis habe. Wir klären folglich gerade, ob ich eine solche Behandlung überhaupt durchführen könnte.

Ich kann mir derweil (und auch länger, wenn ich mag) überlegen, ob ich durch so etwas nicht sozusagen den Teufel mit dem Beelzebub austreibe. Die eine Krankheit in den Griff bekomme, mir dafür andere zuziehen kann. Aktuell tendiere ich dazu, dieses Risiko einzugehen. Die Rheumatologie hat mit diesen Medikamenten in den vergangenen Jahren riesige Fortschritte gemacht, bestimmte Dinge sind erstmals überhaupt vielversprechend behandelbar. Und die Aussicht darauf, was sich alles verbessern könnte, ist schon arg verlockend.

Diesbezüglich gab es eine nette Passage im Gespräch mit der Rheumatologin, die davon sprach, dass sich die Lebensqualität der Patienten dadurch massiv erhöhe. Mein Einwurf, dass ich meine Lebensqualität so schlecht nun auch nicht fände -nicht so toll wie bei Anderen, aber es könnte schlimmer sein- konterte sie lächelnd mit einem „Herr Zirker, sie schlucken seit rund 15 Jahren Antirheumatika. Sie wissen überhaupt nicht, wie es sein könnte, ihr Maßstab ist ein völlig anderer“. Da hat sie sich vermutlich durchaus recht. Ich kann mich (klingt komisch, ist aber so) beispielsweise definitiv nicht daran erinnern, wie es ist, mal zwei Tage lang absolut keine Schmerzen zu haben. So gar keine.

Ich bin sehr gespannt, wie das weitergeht. Ist eine ziemlich „aufregende“ Situation. Ziemlich viele Überlegungen, ziemlich viele Änderungen, ziemlich viele Aussichten.

Was auch immer ich tue, ich glaube, der letzte Monat war ein ziemlich wichtiger…

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